Rotkäppchen

Es war einmal eine Großmutter, die lebte im Wald in einer schönen Villa mit Seeblick. Sie war schon sehr alt. Ihre faule Tochter lebte mit der missratenen Enkelin in einer kleinen Wohnung in der fiesesten Gegend der Stadt. Als es der Großmutter eines Tages endlich schlecht ging (die alte Gallengeschichte), packten die beiden einen Korb mit Geschenken, um sie freundlich zu stimmen und das Ganze zu beschleunigen, denn sie wollten das Haus erben. Im Korb befanden sich ein süßer sahniger saftiger Kuchen, fettes Essen und ein hochprozentiger Schnaps.
„Blumen pflückst du ihr unterwegs“, sprach die Mutter, die nicht noch mehr Geld ausgeben wollte.
Seufzend setzte das Mädchen seine unmögliche rote Kappe auf und machte sich auf den Weg, der lang und langweilig war. Missmutig rupfte sie vor dem Haus der Großmutter ein paar Blumen ab, und dann kam auch noch ein Wolf des Weges.
„Na, wohin gehst du?“, fragte sie ohne großes Interesse. Der Wolf öffnete sein Maul, um irgendwas wahrscheinlich Blödes zu antworten, da kam dem Mädchen eine Idee.
„Komm mit rein und friss meine Großmutter, dann können wir in ihrem Haus wohnen!“, schlug sie vor und sah ihn mit leuchtenden Augen an.
Aber der Wolf schlug entsetzt die Pfote an seine Schnauze und weigerte sich strikt.
Er lasse sich nicht von Fremden von seinem Weg abbringen und fresse keine alten Damen. „Aber Wolf, wozu hast du denn so einen großen Mund? Komm, beiß zu! Hau rein! Lass dir’s schmecken!“
Aber der Wolf zierte und genierte sich.
„Ach nein“, sprach er. „Das gehört sich nicht.“.

Wie sie so redeten, kam ein Jäger vorbei, und ehe das Mädchen noch etwas sagen konnte, schwärzte der Wolf sie schon an.
„Sie will, dass ich die entzückende alte Dame verspeise“, krähte er und zeigte erst auf sie, dann auf das Haus der Großmutter.
„Waas“, sprach da der Jäger.
Und piffpaff, verjagte er Rotkäppchen. Die ließ vor Schreck den Korb stehen.

Der Lärm lockte die Großmutter aus der Villa. Der Wolf petzte brühwarm mit seiner lispelnden Krähstimme, was sich zugetragen hatte, und von Ferne sah das Mädchen, wie er schon wieder mit seiner Pfote auf sie zeigte.
Und wie daraufhin die Großmutter mit erhobener geballter Faust etwas in ihre Richtung rief. Dann nahm der Jäger den Korb und alle drei verschwanden im Haus. Kurz darauf sah sie sie auf der Terrasse mit Seeblick sitzen und Kuchen, Fleisch und Schnaps verputzen.
Sie aber kehrte zurück in ihre hässliche Miniwohnung in der fiesesten Gegend der Stadt, und wenn sie nicht gestorben ist, so lebt sie dort noch heute.